Vertieftes Verständnis des Fühlprozesses

nach der Methode der »Bewussten emotionalen Entladung« von Vivian Dittmar (vgl. Literaturempfehlung)

Grenzen der Methode

Diese Methode funktioniert nicht mit mir alleine und löst auch nicht meinen alten, gespeicherten Emotionen schnell und vollständig auf. Ich werde immer noch emotional aktiviert werden, doch es wird leichter und ich habe eine Methode damit heilsam umzugehen.

Und es braucht einen speziellen geschützten Raum, um diese heilsame Entladung zu erleben. Spontan und intuitiv gelingt mir (Andreas) das im Miteinander nur selten, weil ich Anteilnahme und Fühlen verlernt haben.

Sowohl Traumata als auch Emotionen lassen sich prinzipiell durch diese Methode erleichtern. Wobei ich (Andreas) empfehle tiefgreifende Traumata in einem Zweikontakt mit einer erfahrenen Traumabegleitung anzugehen.

Voraussetzungen für eine gelungene Entladung – unterstützender Raum für Deinen Fühlprozess

Es braucht unterstützende Anteilnahme durch andere und die eigene Bereitschaft zu Fühlen (innere Dimension) sowie einen „geschützten Raum“ (äußere Form) damit Du im Fühlraum Dein Fühlprozess Dich auch wirklich zu einer Bewussten emotionalen Entladung führt.

Anteilnahme – wie geht das und was behindert sie

Was ist echte Anteilnahme – die Rolle des Unterstützers

Der Unterstützer stellt für eine klar begrenzte Zeit seine emotionale Kapazität mir, dem Fühlenden, zur Verfügung, d.h. er schenkt mir ungeteilte, urteilsfreie und zugleich wohlwollende Aufmerksamkeit. Er richtet seine Aufmerksamkeit immer wieder auf das einfühlsame Raum-halten für mich, überlegt keine Antworten oder Lösungen, sondern schickt alle Gedanken und eigenen Emotionen fort.

Einfühlsame Anteilnahme / Fremdempathie geht nicht über den Kopf, sondern nur über das Herz. Es ist quasi eine energetische Präsenz für den anderen ohne Einsatz des Verstandes und mehr noch als lediglich wohlwollend auf mich zu schauen.

Es ist auch keine Begegnung zwischen uns, sondern die Begegnung mit sich selbst, die vom anderen gestützt und bezeugt wird.

„Viele Mütter und immer mehr Väter tun dies ganz instinktiv, wenn sie ihr Baby hüten. Sie umhüllen das Kleine mit ihrer Präsenz, wodurch es sich gehalten und geborgen fühlt. Fehlt diese Qualität, werden Babys oft unruhig oder sogar panisch.“ (V. Dittmar, S. 127f)

Oder: Thich Nhat Hanh diese Analogie des Baby-Haltens gebraucht, um die Grundhaltung beim Erlernen des Meditieren zu verdeutlichen. Ich finde dies eine gelungene Anregung auch für’s Fühlen – sowohl für den Fühlenden als auch für den Raum-Haltenden. (Auch wenn ich leider wenig Eltern kenne, die so natürlich auf ungewolltes Verhalten ihrer Kinder reagieren.)

„Es ist so wie bei einem unruhigen Baby, das um sich schlägt, weint, zittert, wir werden nicht sagen ‚Nun hör doch auf! Weine nicht! Sei nicht aufgeregt!‘, wir werden das Baby nicht dazu zwingen, sich so zu verhalten, wie wir es möchten. Wir werden es in den Arm nehmen und halten. Wenn Zärtlichkeit, Liebe und Sorge in uns aufsteigen, wird diese Energie ganz natürlich das Baby erreichen und eine Veränderung bewirken.“ Thich Nhat Hanh, Im Hier und Jetzt zuhause sein

Hindernisse bei der Anteilnahme

Gewohnte Verhaltensmuster, wie Beschwichtigung, Bestärkung, Aufmunterung, eigene ähnliche Geschichte teilen oder gut gemeinte Ratschläge [vgl. auch Thomas Gordons Kommunikationssperren] greifen in mich als Fühlender ein und verhindern so, dass ich weiter auf meinem sensiblen Fühlspur bleibe, weil sie mich in den Kopf bringen.

Diese Verhaltensmuster des Zuhörers treten reflexartig auf, weil ich (Andreas) als Zuhörer unbewusst darauf trainiert bin, unangenehme Gefühlssituationen möglichst schnell zu verlassen. Doch echter Trost versucht die Trauer nicht zu beenden, sondern er hilft mir, meine Trauer wirklich fühlend zu erleben.

Es ist normal, beim einfühlsamen Zuhören zunächst

  • verunsichert zu sein,
  • sich unwohl zu fühlen,
  • sich zu fragen, was das eigentlich soll sowie
  • den starken Impuls zu verspüren, doch auf eine der gewohnten Strategien zurückzugreifen.

Ich habe die Erfahrung gemacht, wenn ich dieser Versuchung widerstehe, mache ich eine ganz wunderbare Erfahrung: Mein Gegenüber, der Fühlende, macht vielleicht zum ersten Mal die Erfahrung, dass er sich seiner „inneren Not“, seinen starken unangenehmen Gefühlen bzw. Emotionen auch ganz liebevoll und sanft nähern kann, ohne den inneren Druck zu verspüren, etwas verändern zu müssen, um möglichst schnell wieder zu funktionieren. Dieser Druck wird oft – unbewusst – von den Umstehenden verstärkt, vielleicht sogar durch sie ausgelöst. Durch die annehmende Begleitung erlebt der Fühlende vielleicht zum ersten Mal, dass er auch durch starke Gefühle „hindurch gehen“ kann und die Gefühle sich danach „wie von Geisterhand“ in Weite, Entspannung, Verbundenheit o.ä. auflösen. Dadurch kann tatsächlich Erleichterung geschehen und es schafft eine tiefe Verbindung zwischen uns.

„»Lange wusste ich nicht, wie ich den Menschen, die ich liebe, helfen kann, wenn es ihnen schlecht geht. Jetzt weiß ich endlich, dass ich einfach für sie da sein kann! Das ist ein sehr schönes Gefühl.«“ (V. Dittmar, S. 127)

Fühlen – wie geht’s und was behindert es

Nicht Verstehen, sondern fühlen, fühlen, fühlen – die Position des Fühlenden

Es geht nicht darum, Deine inneren Prozess verstehen zu wollen – auch wenn die Versuche groß ist. Und es geht auch nicht darum, dass Du Dich möglichst genau an den methodischen Ablauf hältst. Denn beides bringt Dich zu sehr in den Kopf und damit weg vom eigentlichen Fühlen. Dein Verstand kann nur helfen, Deinen Fühlprozess immer wieder anzuschieben und zu vertiefen, indem er aus dem Weg geht, d.h. aktiv dafür sorgt, dass alte gewohnte Gedanken, die das tiefe Fühlen verhindern wollen (vgl. Sackgassen), losgelassen werden. Ich (Andreas) mache dies gerne durch eine innerliche Anmoderation durch meinen liebevollen inneren Erwachsenen an mein inneres Kind: „Ja, hier darfst Du Dich ganz zeigen! Hier musst Du nichts zurückhalten. Ich bin bei Dir und bin jetzt bereit alle Deine Gefühle zu fühlen. Alle Gefühle sind herzlich willkommen!“ Und wenn ich bemerke, dass ich während meines Fühlprozesses plötzlich im Denken feststecke, sage ich oft innerlich zu mir (aus meinem liebevollen Erwachsenen heraus): „Jetzt geht’s um’s Fühlen. Um Euch (sorgenvolle Gedanken, Ideen, Handlungsimpulse) kümmere ich mich später. Jetzt leihe ich meinen Körper und meine Stimme meinem verletzten inneren Kind.“

Es geht also z.B. nicht darum, dass Du Deinen entdeckten Absolutheitsanspruch hinterfragst (ihn genau verstehst, seine Geschichte erkundest und Zusammenhänge ableitest), sondern dass Du die Gefühle und Sehnsüchte/Bedürfnisse dahinter durchfühlst.

Die geistige Haltung beim tiefen Fühlen

„Achtsamkeit strebt nichts an, sie schaut was da ist.“ (unbekannt)

Dein Fühlprozess braucht auch Dein Bewusstsein. Damit meine ich keinen intellektuellen Bewusstwerdungsprozess vergangener Ereignisse. Deine „5%“ Bewusstsein brauchst Du um mit aller Achtsamkeit und Aufmerksamkeit bei dem zu sein, was gerade in Dir lebendig ist (Körperempfindungen und besonders Gefühlsregungen). Dabei geht es um ein wertfreies, bejahendes und zulassendes In-Dich-Hinein-Horchen. Dein Verstand hat also einzig die Aufgabe bewusst, dem Fühlen Deines Innenzustands aus dem Weg zu gehen (s.o.). Es braucht quasi ständig den liebevollen inneren Erwachsenen, der dafür sorgt das gewohnte Denkstrukturen Dich nicht in eine Sackgasse bringen, sondern Du auf Deiner Fühlspur bleibst. [Mehr dazu…]

Was Dich am echten Fühlen hindert

„Fühlen bedeutet, im Zustand emotionaler Aktivierung genau dorthin zu gehen, wo es unangenehm ist und wo wir eigentlich nicht hinwollen. Es bedeutet, da zu bleiben und uns dem zuzuwenden, was wir so lange ausgeblendet haben. Ohne Druck und ohne Zwang, doch mit einer gewissen Entschlossenheit und Bestimmtheit.“ (V. Dittmar, S. 135f)

Manche haben nur gelernt ihre verletzlichen Anteil, das innere Kind zu schützen, indem sie sich von ihren Gefühlen abschneiden. Oft haben sie als Kind mehrmals erfahren, dass ihre Gefühl nicht einfühlsam angenommen wurden, sondern sie stattdessen z.B. ausgelacht, beschwichtigt oder alleine gelassen wurden. So haben sie sich eines Tages vielleicht entschlossen, gar nicht mehr zu fühlen. Heute kommen sie nur noch an ihre Gefühle, wenn sie im Außen stark provoziert werden und dann schießen ihre Gefühle unhaltbar und zerstörerisch aus ihnen heraus (Unbewusste emotionale Entladung). Eine sanfte Hinwendung zu den eigenen Gefühlen, ist dann nicht möglich. Diese Form der unbewussten Entladung ist nicht hilfreich, weil kein unterstützender Raum gegeben ist, so dass Du das Durchfühlen Deiner hochkommende alten Emotionen nicht als Erleicherung und Befreiung erleben kannst. Stattdessen fühlst Du Dich wieder überfordert von Deinem Erleben (selbst wenn Du die Situation sofort verlässt und alleine versuchst zu entladen).

Zudem ist es für den entladenden Sprecher anfangs noch sehr ungewohnt keine Resonanz von seinem Zuhörer zu bekommen. Doch es geht bei der Bewussten Entladung nicht darum, den anderen etwas zu erzählen oder zu erklären, sondern ganz mit Deiner Innenwelt in Fühlung zu kommen, auch wenn Deine Äußerungen für die Zuhörenden völlig unverständlich bleiben!

Warnhinweis: Nur in geeigneten Räumen fühlen

Obwohl ich immer wieder betone, wie wichtig mir (Andreas) das Fühlen erscheint, heißt das nicht, dass Du immer und überall ganz ins Fühlen gehen solltest. In vielen alltäglichen Kontexten ist es sinnvoll und wichtig, den oben beschriebenen Schutzmechanismus zu beherrschen, weil in dem Kontext nicht liebevoll und annehmend mit Deinen Gefühlen umgegangen wird. Ich nenne diesen Schutzmechanismus gerne: „Meine Gefühle in meiner inneren Schatzkiste sicher aufbewahren, um sie später im Schutzraum zu durchfühlen.“ (Vivian Dittmar nennt dies „den emotionalen Schließmuskel“ oder „Emotionen parken“.)

Die äußere Form – der geschützte Raum

Definierte Rollen

Einer geht ins Fühlen einer Emotion, der oder die anderen sind unterstützende, rein empathische Zuhörer. Idealerweise folgt danach ein Rollentausch.

Die klare Rollenverteilung schafft Entlastung: Der Fühlende braucht sich keine Gedanken zu machen, wie es dem anderen geht, ob er auch was sagen will oder wie er auf die Zuhörer wirkt, sondern darf sich ganz auf seinen Fühlprozess konzentrieren. Und die Zuhörer können sich ganz auf’s Raum-halten konzentrieren und müssen keine Lösung überlegen oder sich mit ihren Emotionen beschäftigen (diese kommen danach dran). Diese klare Aufgabenverteilung kann für beide Seiten entspannend wirken.

Partnerwahl

Damit sich der Zuhörer ganz auf stille Anteilnahme einlassen kann, darf der Sprecher nicht über den Zuhörer sprechen. D.h. es ist wichtig, dass ich als Praxis-Partner nicht meine Auslöser-Person wähle oder jemanden, der mit dem Thema meines Päckchens emotionale Probleme hat.

Ob ich eine mir besonders nahestehende oder eine fremde Person wähle, ist gleichwertig und eher Geschmackssache.

Im Fühlraum wollen wir nicht, dass jemand mit frisch getriggerten Emotionen nach Hause gehen muss, deshalb erlauben wir auch eine 2. Fühlrunde, wo gerade ausgelöste Emotion durchfühlt werden können. Falls dies den Auslöser zu sehr berührt – was selten der Fall ist, weil jeder die Verantwortung für die ausgelösten Emotionen bei sich sehen kann – würde der zuhörende Auslöser ggf. aus Selbstfürsorge nicht an dieser Runde teilnehmen und sich ggf. vorher verabschieden.

Besondere Vertraulichkeit

Was auch immer während der Entladung gesagt wird, es wir von niemanden mit niemanden – auch nicht mit dem Entlader selbst – darüber gesprochen, weder innerhalb oder noch außerhalb des Settings.

Dadurch kann der Entlader frei seine Emotionen sprechen lassen, auch wenn er selbst sich nachher für das Gesagte schämt bzw. schämen würde oder es für völlig ungerecht hält. Mit meinen Emotionen sprechen oft sehr alte Teile von mir, die nicht meinen heutigen Wertmaßstäben entsprechen (können). Würde ich im Nachhinein auf mein Gesagtes angesprochen werden, kann dies den Erfolg der Entladung rückgängig machen.

Auch Feedback oder Hilfen sind meist kontraproduktiv, da die Emotionen ihren individuellen Weg und ihre Geschwindigkeit zur Auflösung brauchen. Jeder gut gemeinte Eingriff kann diesen fragilen Prozess empfindlich stören. Dennoch darf im Fühlraum sich der Fühlende die aktive Begleitung wünschen, die ihm hilft auf seiner Fühlspur zu bleiben.

Da die Art des Austausch so anders ist, als wenn ich mich sonst mit dem anderen austausche, fällt mir meist leicht zu unterscheiden, ob er es mir in der Bewussten Entladung erzählt hat oder außerhalb. Wichtig dafür ist, dass die Bewusste Entladung immer in dem klaren äußeren Rahmen erfolgt, insbesondere mit eindeutigem Anfang und Ende.

Falls ich doch ausnahmsweise Bezug nehmen will auf die Worte der Entladung, dann frage ich vorher nach, ob dies wirklich in Ordnung ist, ansonsten verzichte ich darauf. Außer es ist eine allgemeine Klärung notwendig, was zum Fühlraum gehört und was nicht. Dann gehe ich auf allgemeiner Ebene (Metakommunikation) noch mal auf die möglichen Sackgassen ein und warum ich diese in diesem Fühlraum nicht dauerhaft zulassen will.

Klarer Zeitrahmen

5, 10, 15 oder auch 30 Minuten, fast beliebig, nur eben vorher festgesetzt. In unserem Fühlraum hilft uns die gebührenfreie -App durch Gongs im Zeitrahmen, d.h. Vorgabezeit +/- 1 Minute zu bleiben.

Die Zeitbegrenzung ist sehr hilfreich:

  1. für den Unterstützer, da Anteilnahme schenken auch bedeutet, Eigenes zurückzustellen und
  2. für den Entladenen, da auch seine Anstrengung sich ganz auf’s Fühlen zu konzentrieren und nicht auszuweichen, zeitlich begrenzt ist.

Vorsicht Falle: Auch wenn die Versuchung groß ist, von beiden Seiten die Zeit deutlich zu überziehen, wenn ich als Entladener endlich den Zugang zu meiner Emotion gefunden habe, geht es bei der Bewussten Entladung bewusst nicht darum, möglichst direkt alles zu fühlen, sondern darum zu erfahren, dass ich Emotionen auch wieder wegpacken („parken“) kann, wenn ich das will. Dies ist diesmal nicht verletzend, weil ich nun die Gewissheit habe, dass ich mich später ihnen im selben geschützten Raum erneut zu wenden kann. Dies gibt mir meine Macht über mich und meine Emotionen ein Stück zurück. Diese Erfahrung ist mindestens so hilfreich, wie die Entladung selbst.

Mit der Zeit bekomme ich wahrscheinlich ein Gefühl, wie groß ein „Emotionspaket“ sein kann, damit ich es in der gegebenen Zeit auch entladen kann.

„Mit ein bisschen Übung lernt man auch, die Größe der Emotionspäckchen entsprechend der vereinbarten Zeit auszuwählen. Man entwickelt ein Gespür dafür, was in zehn Minuten entladen werden kann – und was nicht. Es entsteht eine Gelassenheit im Umgang mit unseren Altlasten. Wir versuchen nicht, in zehn Minuten unser größtes Kindheitstrauma in Angriff zu nehmen.“ (V. Dittmar, S. 151)

Ein ungestörter Raum

Ich empfehle wirklich alles Mögliche und auch das unmöglich Erscheinende dafür zu tun, dass ihr wirklich ungestört seid und Euch sicher fühlt (Raum wählen, wo ihr euch wohlfühlt und niemand anderes reinkommen kann, Handy aus, Telefon und AB ausstecken, Türklingel abschalten…), denn das ist auch ein Zeichen an Deinen inneren verletzlichen Anteil / Dein inneres Kind, dass Du es diesmal wirklich ernst meinst mit der liebevollen Zuwendung und dem sicheren Raum.

Auf der anderen Seite hat bei mir in einem gewissen Maße auch die Bewusste Emotionale Entladung bei einem gemeinsamen Spaziergang in einem wenig besuchten Waldstück funktioniert. Auch hier gibt es kein Richtig und Falsch, nur Empfehlungen.

Deiner inneren Fühlspur folgen

Schritt-für-Schritt – eine kleine Orientierung für Deinen Fühlprozess

Schritt 1: Zugang finden

Einstiegsmöglichkeiten:

a. Akute Aktivierung – geht am leichtesten, da die Emotion ganz frisch ist

b. Erinnerung an Aktivierung – mit geschlossenen Augen:
– Was hab ich gesehen, gehört, körperlich empfunden, gerochen und geschmeckt (VAKOG) sowie wie war die Atmosphäre?
– Und vor allem: was war der Auslöser? Welcher Satz, welche Handlung?

c. Erinnerung an schwieriges Erlebnis – am besten aus der Zuschauerperspektive wie im Kino

d. in mich hinein spüren, welche Gefühle/Emotionen jetzt gerade in mir lebendig sind – Durch die Zuwendung beginnen diese sich auch zu verändern und es zeigt sich, was gerade verarbeitet werden will. Auch die Leere, das Nicht-Fühlen, kann bewusst gefühlt werden!

e. Körperliche Empfindung – wenn ich die Emotionen nicht direkt spüren kann, kann ich vielleicht meine Körper wahrnehmen (Enge im Hals, Druck auf der Brust o.ä.). Indem ich mich auf die körperlichen Empfindungen einlasse, ihnen Anteilnahme und Raum schenke, öffnet sich der Raum vielleicht auch für die Ebene der Emotionen.

Schritt 2: Verbinden

Reflexartig gehe ich (Andreas) aus der unangenehmen Empfindung raus in den Kopf und spreche über meine Wahrnehmung (z.B. „ich habe einen Kloß im Hals“ oder „ich bin wütend“). Doch wirkliches Fühlen bleibt mit der Präsenz ganz bei der Emotion und baut keine Distanz zwischen dem Teil in mir auf, der fühlt, und dem, der das wahrnimmt / beobachtet. (Das Bewusstsein berührt unmittelbar die Emotion.) Stattdessen entsteht eine rein mitfühlende Verbindung, die sich ganz auf die andere „Logik“ der Emotionen (ähnlich „unlogisch“ wie in Träumen) einlässt und deshalb oft auch das Geschehen nicht mehr in „logische“ Worte fassen kann.

Schritt 3: Aus dem Weg gehen

Emotionen leben nach ganz anderen Prinzipien als mein Verstand. Deshalb kann ich das Fühlen der Emotion auch nicht mittels meines Bewusstsein anschieben. Ich kann dem Fühlen nur so gut wie möglich aus dem Weg gehen, indem mein Bewusstsein dafür sorgt, dass mein innerer Prozess nicht durch Gedanken gestört wird, die mich vom Fühlen abhalten wollen. Merkt die Emotion, dass sie willkommen ist, lebt sie auf ihre ganz eigene Weise die Energie aus, die sie damals nicht leben konnte. Das führt dann zur Erleichterung dieses emotionalen Anteils von mir.

„Den Vorgang des Fühlens und der Bewussten Entladung, den müssen wir dann sich selbst überlassen [und zulassen]. Er hat seine eigene Weisheit und folgt seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten. Statt ihn zu kontrollieren oder gar zu forcieren, gilt es, sich diesem anzuvertrauen, indem wir uns in die Empfindung hinein entspannen.“ (V. Dittmar, S. 140)

Schritt 4: Die Emotion sprechen lassen

Ich stelle für die Zeit der Bewussten Entladung meinen Körper und meine Stimme ganz den Emotionen zur Verfügung. Wichtig ist dabei, dass ich nicht meinen Verstand über meine Emotion sprechen lasse, sondern die Emotion selbst sprechen lassen. Das kann anfangs ein Art Gebrabel wie bei Kleinkindern sein und selten sind meine Worte für die Zuhörer verständlich. Doch es geht auch nicht darum mich verständlich zu machen oder mitzuteilen, alles Gesagte dient nur dazu, dass sich mein Gefühl, mein inneres Kind, ausdrücken kann. Manchmal ist es notwendig, dass ich einen bestimmten Satz mehrfach hintereinander ausspreche – egal wie unlogisch und grammatikalisch falsch er klingt – bis ich fühlen kann, was sich dahinter verbirgt.

Es ist auch ganz verständlich, wenn Du Dich zunächst schämst, für die unverständlichen Lautgebungen von Dir, die vielleicht aus Deiner frühesten Kindheit stammen. Dann kannst Du auch Deiner Scham eine Stimme verleihen und Dich trauen, ganz dieses aktuelle Gefühl der Scham zu sein. Vielleicht hilft es Dir, dass Du Dich nur für eine klar begrenzte Zeit auf Deine meist unlogischen Äußerungen einlässt und sie ganz geschehen lässt.

s.a. Disidentifikation als wichtiges Hilfsmittel

Schritt 5: Entladung zulassen – Formen der Entladung

Körperliche Ebene (Traumata)

Körperspannung entladen sich per Zittern, Zucken o.ä. – so wie bei Tieren. Dies ist ein natürliche, angeborene Reaktion Deines Autonomen Nervensystems, wie sie auch bei Körperübungen, z.B. aus der Bioenergethik, entstehen. Es führt letztlich zur Entspannung. Bei der Bewussten emotionalen Entladung verstärken wir sie allerdings nicht zusätzlich durch unseren Atem, Körperübungen, Ausagieren oder Gedanken. Wir lassen sie genauso von ganz alleine aufsteigen wie unsere Emotionen.

Emotionale Ebene

Auf der emotionalen Ebene treten meist Tränen und Wut auf. Meist sogar rasch hintereinander. Dahinter zeigen sich oft auch Gefühle wie Ohnmacht, Angst und Verzweiflung. Alle Gefühle werden von Dir weder verstärkt noch zurückgehalten und bleiben dann auch nur für wenige Augenblicke, bis sie sich wandeln. Denn Gefühle sind von Natur aus flüchtig, wenn Du sie nicht mit Deinen Gedanken am Leben erhältst.

Wichtig dabei ist, dass es beim Fühlen kein Falsch und Richtig gibt. Es geht weder darum möglichst viele Tränen fließen zu lassen oder kräftig auf ein Kissen zu schlagen noch beherrscht, kontrolliert seine Gefühle auszudrücken. Wenn Du Deine Gefühle sich frei ausdrücken lässt und nicht durch Gedanken – bewusst oder unbewusst – steuerst (vgl. Steckenbleiben im Fühlprozess), dann führt jede Ausdrucksform – ob still oder laut – zu einer Entladung. Ob die Entladung gelungen ist, kannst nur Du entscheiden. Du erkennst es daran, dass Du Dich danach anders fühlst, ohne Dir diesen Zustand mit Deinem Verstand einzureden. Es geschieht schlicht in Dir. Du kommst zur Ruhe, eine Lächeln entsteht unwillkürlich, Du wirst müde und gähnst, Du fühlst Dich irgendwie weicher, sanfter oder Du spürst plötzlich innerlich Frieden und Verbundenheit. Alles ist möglich. Mit der Zeit wirst Du erkennen lernen, was bei Dir wirkliche innere Erleichterung anzeigt.

„Sehr bekannt sind natürlich Tränen als Begleiterscheinung von Entladung. Ich sage hier bewusst Begleiterscheinung, denn es geht nicht darum, möglichst viel zu weinen oder das Weinen irgendwie anzuschieben. Auch Lachen, Seufzen oder Stöhnen können Zeichen für eine Entladung sein. Und es gibt Entladungen, die geschehen fast unbemerkt, von außen nicht wahrnehmbar. Daher ist der einzig wirklich zuverlässige Indikator für eine Entladung, ob wir uns danach erleichtert fühlen oder nicht. Ob sich unser Blick auf die Welt verändert hat oder nicht.“ (V. Dittmar, S. 145)

Wichtige Hinweise zur Praxis

  1. Der emotionale Entladungsprozess verläuft selten in der Reihenfolge, welche die obige Schritt-für-Schritt-Anweisung suggeriert. Da Emotionen eine eigene Logik haben, können wir sie auch nicht mit dem Verstand in ein Schema bringen. Das Schema ist nur gedacht, um Deinem bewussten Verstand eine Handreichung zu geben, um Dir zu helfen auf Deiner Fühlspur zu bleiben und eben nicht – wie gewohnt – davon weg zu driften.
  2. Wichtig beim Fühlprozess ist auch, dass Du erst mal mit kleinen Emotionspäckchen beginnst oder große kleinschrittig angehst. Die Emotion hat Jahrzente in Dir gearbeitet, jetzt kann sie nicht von heute auf morgen sich in Wohlgefallen auflösen. Deshalb forciere nicht, habe Geduld mit Dir und überlasse Dich dem inneren Prozess. Deine Seele weiß, wie viel sie sich auf einmal zumuten kann. Nur der Verstand, will manchmal – aus erlernten Überlegungen heraus – zu viel auf einmal. Entscheidend für Dein inneres Kind ist sowieso, dass Du regelmäßig liebevoll-annehmend und bejahend freilassend für Deine Gefühle, für Dein inneres Kind, da bist. Schnelle Erfolge sind Vorgaben, die Dir Dein liebloser Erwachsene ins Ohr flüstert, weil er sie so gelernt hat und für heute für überlebensnotwendig hält. Deshalb finde ich (Andreas) als Einstieg Schritt 1a, d oder e am geeignesten.
  3. Die ganze Theorie ist somit im Grunde überflüssig und Du kannst sie auch ganz vergessen. Es geht darum „einfach“ liebevoll präsent bei dem zu sein, was in Dir emotional lebendig ist. »Es gibt also quasi nichts zu tun oder zu beachten, einfach nur in mich spüren und alles zulassen.«, denkst Du vielleicht jetzt. Doch gerade weil diese Anweisung so einfach klingt – wie das Meditieren – erlebe ich sie oft als größte Herausforderung. Denn meine Gewohnheitsenergie will mich – wie beim Meditieren – lieber in irgendwelche Gedanken ziehen statt mit meiner Präsenz bei meinen Emotionen zu bleiben. Deshalb ist es sehr verständlich, wenn Du anfangst größte Schwierigkeiten hast, „einfach“ Deiner Fühlspur achtsam zu folgen. Auch hier gilt: Es gibt nichts zu erreichen oder zu leisten, Dein stetiges liebevolles Bemühen reicht. Sei großherzig mit Dir.

Letzte Aktualisierung: 08.02.2024